Kann KI ein echtes Gegenüber sein?

Alexander Piotrowski
| 26. Mai 2024

Das Wichtigste in Kürze

  • KIs werden Menschen ein echtes Gegenüber sein.
  • Nicht allein die tatsächlichen Fähigkeiten von KIs entscheiden, ob Menschen sie als Gegenüber wahrnehmen, sondern vielmehr die Frage, was dem menschlichen Gehirn ausreicht, um der KI ein Wesen zuzuschreiben.
  • Wie einfach das dem Gehirn fällt, zeigt sich daran, wie schnell wir in zwei Punkten und einem Strich ein Gesicht erkennen oder in unserer emotionalen Bindung zu mit Watte gefüllten Stoff, sobald wir diesem die Form eines Tieres geben.
  • KIs sind heute schon nahe dran, die Mindestanforderungen für ein Gegenüber zu erfüllen: seien es anthropomorphe Eigenschaften, gemeinsame Erinnerungen oder deren ständige Verfügbarkeit und der damit verbundene Nutzen, mit ihnen in Kontakt zu treten.

 

Einkaufsstraße in Tokyo, Paar neben dem ein niedlicher Roboter läuft.

Stell Dir vor, Du plauderst über Deine Lieblingsserie mit einem Chatbot, der genau weiß, welche Charaktere Du liebst und welche Handlungsstränge Dich am meisten fesseln. Dies ist bereits Realität dank Künstlicher Intelligenz. Doch wie nah kommt diese technische Interaktion an ein echtes Gespräch mit einem Freund heran?

Üblicherweise nähern wir uns der Frage mit Überlegungen, über welche Qualitäten eine KI tatsächlich verfügt und ob diese als echte menschliche Fähigkeiten angesehen werden können. Diese Frage ist unseres Erachtens nach aber falsch gestellt. Entscheidend ist nicht, wie eine KI tatsächlich funktioniert.

Entscheidend ist die Interaktion mit KIs

Welche Gedanken, Emotionen und Empfindungen werden in uns Menschen bei der Interaktion mit KIs hervorgerufen? Welche Narrative verankern wir über KIs im gesellschaftlichen Diskurs, die entscheidend für unseren Blick und unser Erleben von KI sind?

Wenn wir also die These in den Raum stellen, dass KI für viele Menschen ein echtes Gegenüber sein wird, geschieht dies in der vollen Anerkennung der folgenden Einschätzungen:

  • KIs sind nicht im herkömmlichen Sinne intelligent. Sie simulieren neuronale Netzwerke auf der Grundlage von Zufälligkeit und strukturierten Algorithmen.
  • KIs haben kein Bewusstsein und keine Emotionen.
  • KIs besitzen keine sozialen und ethischen Verständnisgrenzen und verfügen über keine Selbstbestimmung. Begriffe wie „Selbstbestimmung“ sind im Zusammenhang mit KIs sinnbefreit, da sie auf Fähigkeiten abzielen, über die KIs nicht verfügen.
  • Beziehungen und Bindungen werden auf Grundlage gemeinsamer Erfahrungen geknüpft. Da KIs über kein Bewusstsein verfügen, kann es auch keine gemeinsamen Erfahrungen geben (wenn auch die Illusion einer gemeinsamen Erinnerung).
  • Spontanes, intuitives Verstehen kreativer, nichtlinearer Kommunikation, wie Humor, Ironie oder locker assoziative Unterhaltung, fehlen KIs.
  • KIs können ihr eigenes Handeln nicht hinterfragen oder bewerten.

All dies sind notwendige Komponenten, um die Tiefe und Komplexität menschlicher Verbindungen zu erreichen.

Warum gehen wir also dennoch davon aus, dass KI uns ein echtes Gegenüber sein wird? Weil die technischen Prozesse hinter diesen digitalen Entitäten und die damit einhergehenden Fähigkeiten letzten Endes irrelevant sind. Am Ende des Tages ist nur wichtig, auf welche Weise wir Menschen darauf reagieren und inwieweit sich für uns eine Beziehung echt anfühlt, obwohl wir intellektuell wissen, dass diese in weiten Teilen auf einer Illusion beruht.

Die Vermenschlichung der Umwelt

Die Umwelt zu vermenschlichen ist dem Menschen innewohnend. Erinnerst Du Dich daran, wie wir Smileys menschliche Gesichtszüge zuschreiben? Ein einfacher Strich mit zwei Punkten kann in uns ein Lächeln oder eine Verbindung hervorrufen. Das zeigt, wie unser Gehirn funktioniert und wie wir dazu neigen, selbst in den einfachsten Dingen menschliche Eigenschaften zu sehen. Genauso verhält es sich mit AI Companions. Auch wenn sie auf Algorithmen und Datenmustern basieren, erleben wir sie als mehr.

Kind sitzt auf dem Boden und spricht mit seinem Stofftier in heimeliger Umgebung.

Stofftiere sind schon jetzt Freunde

Stell Dir ein Stofftier vor. Technisch gesehen besteht es aus Stoff, Fäden und Füllwolle. Aber für ein Kind wird es zu einem geliebten Freund, der Trost und Sicherheit bietet. AI Companions funktionieren ähnlich. Ihre technische Struktur tritt in den Hintergrund, während ihr Nutzen und die emotionale Bindung, die wir zu ihnen aufbauen, in den Vordergrund rücken. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche emotionale Bindung ein Kind zu einem Stofftier aufbauen könnte, das ihm zuhört, reagiert, seine Geheimnisse beherbergt und die Schwierigkeiten des Tages auswertet. Ganz wie ein interaktives, responsives Tagebuch. Als Erwachsene werden wir wahrscheinlich kein Stofftier als Gegenüber wählen – aber die der Interaktion zugrunde liegenden menschlichen emotionalen Prozesse werden ähnlich bleiben.

Die Sehnsucht nach Verbindung

Menschsein heißt Verbindung suchen. Doch Verbindung ist nicht immer verfügbar. KI wird die durch die sozialen Medien geschaffene Illusion von Verbindung noch weiter perfektionieren. Unsere neuen digitalen Gefährten werden rund um die Uhr verfügbar sein – ob für ein nächtliches Gespräch, das uns beim Einschlafen hilft, oder als Erinnerung an wichtige Termine. Sie bieten eine ständige Präsenz, die, obwohl technologisch und nicht menschlich, eine Form von Gesellschaft und Unterstützung bieten kann, die unseren tief verwurzelten Wunsch nach Verbundenheit anspricht.

Der pragmatische Alltagsnutzen

Entscheidend für die Verbreitung von KI-Companions wird ihr praktischer Nutzen im Alltag sein. So wie das Smartphone von einer Neuheit zu einer Notwendigkeit wurde, könnte auch KI durch ihren unmittelbaren Nutzen Bedenken bezüglich Datenschutz und Autonomie in den Hintergrund treten lassen.

Statt uns mit der Beruhigung abzufinden, dass „KI kein Bewusstsein hat“, sollten wir uns darauf konzentrieren, wie Menschen KI als echtes Gegenüber wahrnehmen könnten. Wichtig ist, wie dieses Tool zur echten menschlichen Entwicklung beitragen kann, statt sie zu beeinträchtigen. Sobald der Nutzen für alle greifbar und leicht anwendbar ist, werden KI-Begleiter ein normaler Teil unseres Lebens und unserer Erfahrungswelt sein.

Wohin führt die Reise?

Die Interaktion mit KIs wird zunehmend Teil unseres Alltagslebens. Uns geht es darum, diese Veränderung so bewusst wie möglich zu gestalten. Am Ende des Tages wird es darum gehen, wie wir KIs nutzen werden – und darum, gemeinsam zu lernen, diese auf eine Art und Weise zu nutzen, die unserer menschlichen Entwicklung, unserer Persönlichkeitsentwicklung dienlich ist.

Wenn Du Dich für diese Frage interessierst, freuen wir uns, wenn wir in Kontakt bleiben. Wenn Du über unsere Gedanken und Erfahrungen auf dem Laufenden bleiben willst, kannst Du z. B. unseren Newsletter abonnieren oder Dich mit uns auf LinkedIn vernetzen.

Alexander Piotrowski
ist neugierig, ob Menschen und Roboter eines Tages zusammen Yoga machen.
Burkhard Pahl
forscht zu AI Literacy, damit wir nicht komplett von unseren Toastern überholt werden.

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